Offenbach Post 28.01.19
Fastnacht für Fortgeschrittene bei der TGS in Seligenstadt
Schlumberland – Die TGS-Gala eignet sich nicht für Seligenstadt-Anfänger! Das Riesen-Programm ist schon Fastnacht für Fortgeschrittene, zu denen jeder Schlumberländer anscheinend von Geburt an zählt.
Von Michael Prochnow
Alle anderen müssen erst lernen, wie Frohsinn in der Hochburg am Main funktioniert. Das fängt mit dem Elferrat an, der emanzipiert mit Männlein und Weiblein besetzt ist. Dass obendrein eine Frau den Präsidenten-Thron besetzt, macht das Spektakel wortreicher – und würdevoller. So entlarvt Susanne Sommer erst einmal das falsche Kinderprinzenpaar als Florian Lebherz und Marina D’Alessio und stellt das echte vor: Moritz I. und Lilly I. Die Präsidentin selbst schwärmt von einer Kür zur Senioren-Schlumberkönigin – mit Rollator?
Immer wieder wird klar, dass die Fastnachter auch Sportler sind. Oder umgekehrt! Jetzt tanzt die 14-köpfige Mini-Garde mit Dutt, blauen, ärmellosen Kleidern mit Reif und weißen Borden zum Dschinghis-Khan-Hit „Moskau“.
Das Stadtprinzenpaar Alex I. und Lena I. durchströme adliges Blut, plaudert die Präsidentin aus. Der Regent stammt aus dem Hause der Feuerwehr, „Schokolade muss her“, unterrichtet die Chefin, „nur mit Nougat kann er die Kampagne überstehen. Seine bessere Hälfte stehe auf Malzbier, habe aber keine Chance, auch nur ein Gramm Fett anzusetzen – sie tritt bei Silber-Blau mit den Dancing Sisters auf.
Protokoller Peter Zelder entpuppt sich als Wirt aus der „kleinen Kneipe“. Das neue Datenschutzgesetz „hat bis heute kein Mensch kapiert, bringt Vereine und Geschäftsleute ins Schwitzen“. Sein Rat: „E Papierdutt übern Kopf“. Die schützt aber nicht vor Donald und Erdo, vor Diesel-Fahrverboten und „Angie, die auf Raten zurücktritt. Laut Peter zwei Jahre zu spät, „die Groko läuft im Stillstand, nur Sprüch‘ kloppe‘. Wer hört da noch hin?“ Ja, ja, „in jedem Witz steckt halt auch Wahrheit drin“.
Erster Stadtrat Michael Gehrheim vernichte den Kreisel, der von seiner Vorgängerin Claudia Bicherl errichtet wurde, klagt der Peter. Und Parkplätze der Anwohner auf dem Feuerwehr-Gelände fielen weg, „jetzt kost‘s Geld“. Vielleicht ließe sich ein Feuerwehr-Parkhaus aus der Hessenkasse bauen! Die Couch an der Haltestelle Kapellenplatz sei als Sperrmüll rasch wieder verschwunden. Auch ein Kneipensterben beklagt der Chronist. „Dafür kommt die Klosterstub‘ wieder“ – frage sich, ob auch die Mönche zurückkehren.
„Bewegung macht müde“, verrät der Offenbacher Wolfgang Braun. Als Rentner könne er morgens lange schlafen, die Zeitung lesen, Kreuzworträtsel lösen, gut essen, „bloß net schwitze‘“. Eine Muskelzerrung habe er sich beim Füßeheben geholt, weil seine Frau saugen wollte. „Sport und Turnen füllt Gräber und Urnen“, lautet sein Wahlspruch. Und: „Im Senioren-Swingerclub geht‘s nicht ganz so steif zu, „Viagra für dahaam is’ zu deuer“, klagt er über die Kur im drögen Bad Dürrrappel. Die Massage verabreichte ein Profi-Thai-Boxer, beim Nacktjogging galt es, „bloß de‘ Schlüssel net verlier’n“.
Weil Braun seit 50 Jahren auf der Bühne steht, überreicht ihm TGS-Ehrenpräsident Manfred Kreis den Silber-Orden der IG Mittelrheinischer Karneval.
Schon mit 13 stand Sebastian Reeg in der Bütt’. Der einstige Sitzungspräsident hat sich „tausend Mal gewogen, die Waag‘ hat mich tausend mal betrogen“. Mit dramatischen Gesten beschließt er: „Ab morge‘ wird abgenomme‘“.
Aber, „Sport macht bled“, wichtiger sei das Outfit, schildert er, wie er in eine Stretchhose gelangte. „Das Seepferdche‘ wollt’ ich mache‘“, aber das konnte nicht funktionieren – im Babybecken. Das zieht das erste Uiuiuiui durch den Saal und die zweite „Rakete“ startet! „Schlankheitswahn kannst du vergesse‘, ab morje wird normal gegesse‘“. Das Publikum lacht Tränen.
Mit viel Improvisationstalent und dem Gegluckse von Bülent Ceylans „Anneliese“ treibt das betagte „Fräulein Kokolores“ selbst hart gesottene Fastnachter in den Wahnsinn. „Frau Präsidentin, ich glaube, es handelt sich hier um einen Terroranschlag!“ So ähnlich, aber „e Fraa mit runnergelassenem Rock kann immer noch schneller laafe als en Mann mit Hosen unten“. Keine Frage: „Meine Damen und Herren, das Niveau hat sich verabschiedet“, jammert Florian Lebherz – sehr zum Vergnügen des Publikums.
Mit grasgrüner Perücke und Tüll singen die TGS-Pausensingers von „Cordula Grün“, ein Stimmungsgarant aus dem Alpenland. Isabella Hof schmettert Hits von Abba, Marianne Rosenberg und Helene Fischer, eine Stimme zum Niederknien. Zuvor hat Ex-Kinderprinzessin Leonie Krumb in Reimen zum zweiten Teil des Abends geläutet. Den Vortrag vorm Vorhang hat sie erst kurz vorher bekommen – coole Socke, Ihre Lieblichkeit!
Die Tanzgarde zeigt den „Fluch der Karibik“ im schwarzen Piraten-Look auch ohne Musik – dafür gibt‘s die erste Rakete des Abends. Die Blue Generation verarbeitet inklusive Prinzen und Pagen, mit einer ganzen Reihe Jungs und den Jüngsten an der Hand, ein Medley Lieder aus dem Kölsche’ Karneval. Mit der Formation „Let‘s Dance“ und fast 20 jungen Damen geht’s im Glitzer-Dress und mit flotten Figuren in die „Zirkusmanege“.
Die Elfergarde dribbelt mit Fußball-Hits im Gardekostüm, Showtime tritt als Pharaoninnen in sparsamem Textilien mit viel Gold an Hüfte, Hals und schwarzem Haar zu rockigen Rhythmen auf. Noch einmal verbreiten die Pausensingers Stimmung, diesmal mit „Himmelblaue Augen“, die Dancing Sisters fahren mit „Jim Knopf“ und Lokomotive „Emma“, mit akrobatischen Figuren ein. Staatsmännisch schreitet das Männerballett mit Stars and Stripes durch das Rampenlicht. Als neue Ratsdame und neuer Ratsherr verpflichtet die Präsidentin mit Urkunde, Kappe und Orden Antonella Errichetti und Christof Sulzmann, die postwendend versprechen, Vollgas für die TGS zu geben.
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